Sackgasse

Gelbes Geld
nagte am Sprung der Lippe.
Wegweiser winkten.
Habe ich gesund gemacht.
Habe ich gelacht.
Habe ich.

Zeige mir deine Hand.
Innen ist der Apfel
aus dem wir gemacht sind.
Wir sind zwei.


In fünf Jahren sind wir woanders.
Vielleicht am Meer.
Aber viel eher noch dort
wo wir schon sind.

Im Rücken liegt das Kleid
vom vorletzten Sommer.
Wir sind so alt
wie der Staub darauf.
Deswegen klettere ich
in den schwarzen Ofen.
Dort kehrt das Kind.
Es bricht die Stille.

Ich und andere

Wenn ich von mir erzähle, erzähle ich auch von anderen. Um nicht durch das Nadelöhr der Wirklichkeit gehen zu müssen mit all seinen Verletzungen, lüge ich. Ich lüge mal mehr, mal weniger. Die Lüge ist der Ursprung der Geschichte. Meine Geschichte lügt nicht. Sie erzählt. Sie spricht, stockt. Mir stockt der Atem von der Geschichte. Deswegen die Bilder. Geht es nicht mit Worten, geht es mit Zeichnungen. Oder wenn gar nichts geht, die Musik. An den Drehreglern meines Samplers herumspielen und mich auf die Reise machen auf der Suche nach einem Klang.

Deswegen bietet die Geschichte keine Fortsetzung an, sondern sie geht auf eine Reise zwischen den Zeiten und Orten.

Die Mutter von Albrecht Dürer

Sie schmeckte sauer wie Linseneintopf mit Essig.

Sie hatte sehr schöne Brüste und einen festen Hintern. Sie hatte etwas übrig für häusliche Wohnraumgestaltung. Ich fühlte mich bei ihr wohl. Außerdem hatte ich mich inzwischen daran gewöhnt, dass ich aufpassen musste, damit ich nichts umstieß oder kaputt machte. Das verdarb ihr die Laune auf Ewig und ich wurde der Quell ihres Unglücks.

Einmal, ziemlich am Anfang unserer Partnerschaft, saßen wir an einem wolkengrauen Sonntagmorgen in dem riesigen Gemeindesaal einer evangelischen Kirche im Gottesdienst in der ersten Reihe. Ziemlich mittig.

Das gelbliche Licht der Saalbeleuchtung stach in meine müden Augen. Es ging auf 11 Uhr vormittags zu. Eine Tageszeit, die gewöhnlicherweise ohne zusätzliche Beleuchtung auskommt. Die Monotonie der Stimme des Pfarrers beim Verlesen der Predigt betäubte meine Aufmerksamkeit und schläferte mich ein. Ich glitt in das Zwischenreich von Wachssein und Schlaf. In einem der Momente der schreckhaften Wiederkehr meiner Besinnung sah ich sie von der Seite wie sie neben mir halb eingesunken dasaß und aufmerksam zuhörte. Ihre Gesichtszüge waren angespannt von der Anstrengung den Worten der Predigt zu folgen. Ihre Augen waren starr nach vorne gerichtet als ob dort das Ende der Welt Einzug hielt. Ich war verblüfft, weil mich ihre Gesichtszüge an jemanden erinnerte, den ich zu kennen glaubte. Ich wusste erst nicht, an wen ich eigentlich dachte. Ihr Ausdruck war eine Mischung aus Skepsis und Beharrlichkeit. Doch der Anblick der Frau, die ich bis dahin unverbrüchlich zu lieben gewillt war, bot mir noch viel mehr Deutungsspielraum. Ich erkannte ein schweres Leben und ein hartes Schicksal. Stolz. Trotz. Verhärmung. Verbitterung. Enttäuschung. Verletzung. Aufopferung. Ich suchte ihren liebevollen Kern. Ihr Wesen. Es schienen bloß Hass und Misstrauen übrig geblieben zu sein. Plötzlich fiel es mir ein. Sie erinnerte mich an das Porträt von Albrecht Dürer, dass er von seiner Mutter gezeichnet hatte. Das war die Ursache meiner Verblüffung. Vielleicht war das auch der Moment in dem ich etwas wusste ohne es wissen zu wollen.

Sie hatte eine Tochter. Sie ernährte sich ausschließlich von Chips und Cola. Manchmal aß sie auch Pizza. Aber ohne Gemüse und nur von Willi´s Pizza Hütte. Dafür war sie sogar bereit, das Haus zu verlassen. Ich mochte sie nicht. Sie war eines der wenigen Kinder, die eine Art an sich haben, für die sie nichts können und trotzdem ist es abstoßend. Aber die Beziehung hat das nicht so sehr beeinflusst. Gleich nach unserer Trennung ist sie weggezogen. Nach Calbe am See.

Tagebucheintrag von Wolf Wagenbruch zu Fünf Winde – dem legendären Buchverlag aus Niedergrundstett

Fünf Winde haben mir das Druckexemplar geschickt von:

„Als wären die besten Freunde nur Hufgetrappel.“

Traf gestern B. aus K. an der L.

Sie hatte recht behalten.

Wir waren uns ähnlicher als wir sollten.

Vielleicht doch den selben Vater aus dem Auto gezogen?

Man weiß es nicht.

Mein Vorgesetzter sagte mir nichts dazu.

Er sagt nur, er säße davor und sehe deshalb nichts.

Am Nachmittag zu C. gegangen.

Sie öffnete weder auf mein Klingeln noch auf mein Klopfen.

Ich schlug das Fenster von ihrem Bad mit einem herumliegenden Ziegelstein ein.

Schnittwunden überall.

Erst mal im Bad Gesicht und Hände gewaschen.

Die Badtür öffnete sich.

Sie blickte mich an.

Dann habe ich sie zum Bus begleitet und

bis nach Frankfurt/Oder geschrien.

Sie konnte es nicht ausstehen.

Deswegen habe ich sie gemieden wie eine Wiese das Gras.

Nur zwei Dinge taten wir gemeinsam:

Zucker naschen und im Stehen pinkeln.

Sie war die Einzige, der ich es nachsah, dass sie das auch so machte.

Ansonsten beanspruchte ich meine Einmaligkeit.

Und zwar für mich allein.

Als W. aus D. zurückkam und Desinformationen über C. verbreitete,

wurde das Gesetzt zur Minderung der Kalkulationstrinkerei im Stadtrat durchgeboxt. Es wurde auch Zeit. Aber es hat den Golem hervorgebracht.

Woraufhin vor allem die Punks in der Stadt auf die Daseinsberechtigung ihrer Kultur pochten und somit einen Schulterschluss mit den Abgesagten der Theaterlandschaft eingingen.

Ich hielt mich aus allem heraus.

Nur bei B. machte ich eine Ausnahme.

Nach meinem Tod

Kein Kaffee.

Keine Menschen.

Keine kalten Nudeln zum Frühstück.

Keine Dienstage.

Keine Gedanken.

Keine Welt.

Keine Gespräche.

Keine Selbstmordgedanken mehr.

Keine Kartoffeln.

Kein Cannabis mehr.

Kein Lassi mango mehr.

Keine kleinen weißen Hunde an langen Leinen mehr.

Keine Zähne putzen.

Kein Karies.

Keine Zahnarzttermine mehr.

Keine Kinder mehr.

Keine Eltern.

Kein Leben mehr.

Keine Zeit mehr.

Keine Bedeutung mehr.

Kein Sein mehr.

Kein gar nix mehr.

Keine Judith mehr.

Keine Erinnerung mehr.

Keine Gefühle mehr.

Kein Glück.

Kein Leid.

Keine Sonne mehr.

Kein Licht.

Kein Dunkel.

Kein Strom.

Keine Flatrate mehr.

Keine Einkäufe bei REWE mehr.

Keine Schlangen.

Keine Zoobesuche mehr.

Keine Pinkelpausen mehr.

Keine Toiletten.

Kein schlechter Service mehr.

Kein Text mehr.

Bergwerkzwerge

In einem Haus.

Auf einem Berg.

Unter dem friedfertigen Bann der Allüre.

Wohnung auf Wohnung.

Schachtelkompott.

Kartoffelsalat aus dem Plastikeimer.

Vergaß sie den Jive?

In einer anderen Sekunde

gebar sie ein Kalb aus Schokolade.

Sie aß es zu Ostern auf.

Bergwerkzwerge kondolierten leise:

Palmen, oh, Palmen.

Die Fruchtbarkeit funktioniert

wie Seife ohne dich.

Keine Datteln.

Nie wieder Eselsohren.

Bilderkarton königlich

Und du fragtest dich nur noch:
„Oh, mein Gott,
warum habe ich das getan?“
Doch beinahe wäre ich dieser
Form von Fatalismus
in die Falle getappt.
Ein Zurück gab es nicht mehr.
Nur die Aussicht auf die nächste Etappe.
Mein Herz bebte vor Aufregung.
Die Gefühle im Halfter,
genoss ich das Gefühl
Empfindungen durchzuleiden
ohne der Achtsamkeit ein Schnippchen zu schlagen.
Also alles im Grünen Bereich.

Siggi tätschelte mir bloß mein linkes Bein
mit ihrer nervösen steifgliedrigen Hand.
Sie rauchte eine Zigarette
und hielt mit der linken Hand das Lenkrad.
Und somit auch die Spur.
Ich bestimmte wo es hinging.
Sie entschied wo es lang ging.
Das Abendlicht war zu der herbstlichen Zeit bereits goldgelb.
Wir kauten an einem Problem
und es schmeckte uns gut.
Denn sie hatte dasselbe Vergnügen daran,
Dinge gedanklich auseinander zunehmen wie ich.
Dabei war das Unterwegssein von ungeheurer Bedeutung.
Das Vorbeiziehen der Landschaft
und der Wechsel von Anfahren,
Beschleunigen,
Abbremsen und Halten,
und wieder Anfahren
und so weiter,
der Wechsel der Perspektiven
und die ständige Verwandlung der Umgebung
wirkten wie ein Beschleuniger unseres Gedankenaustauschs.

Manchmal ein Kabarett,
manchmal eine expressive Verbiegung der Wahrheit,
um die Realität zu Überhöhen.
Aus der Tristesse
in die Metaphysik einer Horrorserie.
Wir schwelgten im Fatalismus.
Dazu Kaffee aus der Thermoskanne.
Ich schüttete mir in der Dämmerdunkelheit des Wagens
den heißen Kaffee auf die Hose.
Auf die Oberschenkel.
Verbrühte mir die Haut.
Sie sagte: Wächst ja wieder!

Die Demoskopenmündung im Anthroposophischen Riesengebirge

Vielerorts ist man der Katastrophen überdrüssig.
Sie nehmen sich deswegen meistens ein Beispiel
und begatten es auf Chemnitzer Art.
Bettina fand das ketzerisch wie Apfelmus mit Sahne.
Ich solle mich entscheiden!
Wegen der andauernden Hitze in unserer Beziehung
habe ich die Sahne weggelassen
und stattdessen Rasierklingen hineingeschüttet.
Ein einschneidendes Erlebnis,
dachte ich zunächst.
Doch dann war es nur
unangebrachtes Misstrauen,
dass mir entgegenschlug wie Wind im Wartesaal.

Jugendweihe

„4 Mal dürft ihr raten
wie lange es schon her ist,
das ich in Texten gebadet habe.“
Danach hatte ich keine Lust mehr am
Aufweichen des Gespräches
in der Runde der Anwesenden.
Sie starrten alle
auf ihre Handybildschirme und
nickten beiläufig wie wenn du
dich mit jemanden unterhältst
während der andere beiläufig
nickt
während er,
immer er,
der nickende Abwesende neben dir
wie eben nur so nebenbei
auf sein Display mit dem Daumen
folgenden Satz einhämmert:
„Liebling, ich bin gleich da. Ich warte nur bis die Nervensäge neben mir aufhört.“
„Aufhört mit was?“, frage ich kräftezehrend.
Kräft Ezeh Rend:
ein alt-etruskisches Wort
aus dem belanglosen Begrograd am Zehbosee für:
schlafwandlerisch.
„Wie bitte?“,
fragte mein Ex-Best-Friend Matthias
und blickte mir
schuldbewusst
Unschuld heuchelnd
ins Gesicht.
Ich sagte: „Käsekuchen von Gestern.“

Abgründe

Jeden Morgen nach dem Aufstehen sagte Puff Ohoh zu seinem Spiegelbild:
„Du verdammte Mistratte! Ich sollte dir den Hintern versohlen! So ein Schlawiner warst du mal wieder.“ Er sagte noch so viele Dinge zu seinem Spiegelbild, dass ihm so vertraut war. Beinahe so als wäre es ein Mitglied seiner Familie. Seiner Gang. Seiner Rita-Gang im Willibaldvorstadtghetto, 01763 Brahmfurt. Wenn er es länger betrachtete, war sein Spiegelbild wie sein eigener Bruder für ihn.
Aber die Beziehung blieb flattrig. Puff Ohoh wurde von Schwermut und Resignation überwältigt und gab den Blick in den Spiegel auf.
Sein Spiegelbild schaute ihn vergrämt an.
Puff Ohoh starrte vergrätzt zurück. Sie konnten sich nicht mehr leiden.
An allem waren natürlich die Frauen schuld. Sie hatten seine komplexen Schwierigkeiten nicht verstehen wollen, weil sie seine Abgründe nicht sehen wollten. Dabei waren es an der Zahl nur Drei. Sie befanden sich im Riefenstahlgebirge bei Hopprum an der Soletalsperre nahe Friedfart dem Großen. Drei tiefe Spalten auf seinem Gartengrundstück. Sie taten sich während eines Steinschlags im Winter 1999 auf und klafften seitdem wie Risse in feuchtem Pergamentpapier zwischen den französischen Eichen auseinander, die sein Großvater 1899 gepflanzt hatte.
Alles, was hinein fiel, fand man nie wieder. Es verschwand in den Abgründen. Zuerst seine Eltern. Dann sein Bruder. Dann seine Schwester. Dann sein bester Freund, der ihm eines Tages sein wertvolles ZO3f weggenommen hatte und zwar ausgerechnet dann als es so sehr darauf ankam lässig zu sein im Laufmaschen-Palast am allerletzten Abend vor der Hinrichtung der Wölfe. Dann noch der Postbote. Schließlich Tante Babett, als sie zum Frisieren seiner Eltern zu Besuch kam. Außerdem noch die Eltern von seinem besten Freund, die nach ihrem verschollenen Sohn fragten. Und zu guter Letzt Admiral Billbow.

Hafer im Gebirge

Herr Samsung sang Getränke.
Ihm wurde schlecht vom Grün,
dass um die Bänke strich
wie Hafer im Gebirge.

Schlafende steigen in Betten.
Aus Kummer gehauener Spaß
zerfrisst die Träume der Geneigten.
Lehrer trinken Absinth.

Kauende Hunde schlafen nicht.
Sie reiben sich gern am Gemüt.
Der Treibsand rinnt in die Gehälter.
Schreiend freut sich das Kind.

Verwegene bleiben auf der Strecke.
Verstecke wurden überrannt.
Niemand bat um das Schlafende
weder der Schalk noch die Linde.

Wie einst der Erstgeborene lebte,
so gibt die Dienstälteste ihren Lauf auf.
Duktus um Duktus schwillt die Lust am Schieben.
Vom Sperrmüll eingehüllte Leiber.
Es hat gesungen in den Gassen von Früher.
Es gab Kartoffelpuffer mit Apfelmus.
Wegen der maroden Gasleitungen lagen wir ganz oben.
Wir lagen im Bett und tanzten den Frost.
Eine Kastanie hüpfte über das Vorhaben
Gewalt in Tücke zu zerlegen.
Schwester, Schwester, gehe hinaus.
Die Wipfel brennen.
Die Sonne geht aus.
Deine Lieder verschimmeln.
Dein Anker versinkt.
Gute Nacht, mein Kind.